Die Fastnachtsbeichte by Zuckmayer Carl
Autor:Zuckmayer, Carl [Zuckmayer, Carl]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Ihm war, als werde ihm ein Stilett durch die Herzwand gestoßen. Seine Schläfen hämmerten, sein Kopf begann zu dröhnen. Einen Augenblick hielt er sein Gesicht in den leicht nach Apfelsinen duftenden Luftzug, der vom Rhein her wehte. Dann faßte er, während das Gefühl von Schwindel und Ohnmacht ihn allmählich verließ und einer bebenden Spannung Platz machte, wie absichtslos ihre Hand und hielt sie dicht vor seine Augen.
Drunten nahte sich das Schwanzende des Zuges mit einigen besonders komischen Figuren, den als ›Krüppelgard‹ grotesk aufgemachten Schleppenträgern der dickbusigen Göttin Moguntia, die von einem athletischen Mann in Weiberröcken dargestellt wurde — so daß seine ihr zugeflüsterten Worte, vom tosenden Gelächter übertönt, auch von Bettine nicht gehört werden konnten.
»Habt ihr dieses M«, fragte er sie in ihr Ohr, »auch auf andren Familienstücken? «
»Kennst du es nicht?« antwortete sie mit unbekümmerter Stimme, »es ist das Geschlechterzeichen der Moraltos, des sizilianischen Zweigs. Bei uns wimmelt’s davon, man findet es auf all unsren alten Sachen.«
»Auch auf Waffen vielleicht?« fragte er rasch — »auf einer eingelegten Pistole zum Beispiel — oder auf dem Griff eines Stiletts? «
Ihre Augen weiteten sich, ihr Gesicht wurde weiß bis in die Lippen. Ihre Hand, die er noch in der seinen hielt, war kalt und feucht geworden. Sie entzog sie ihm und preßte sie auf ihr Herz.
»Was weißt du?« flüsterte sie dann.
»Nichts«, sagte Jeanmarie — und er sprach damit die Wahrheit und die Unwahrheit zugleich. Aber der Mund war ihm versiegelt.
»Nichts«, wiederholte er, und dann fast stammelnd, dicht an ihrem Hals: »Ich will dir helfen...«
Sie schwieg eine Zeitlang, ihre Blicke irrten auf die Straße hinaus. »Bring mich nach Hause«, sagte sie dann, ohne ihn anzuschaun. »Ist dir nicht wohl«, fragte Jeanmarie, »soll ich einen Wagen besorgen?«
Sie schüttelte den Kopf, erhob sich mit ruhiger, gesammelter Energie und schritt zur Tür, ohne sich von Bettine zu verabschieden.
Jeanmarie folgte ihr rasch und sorgte dafür, daß man ihr Mantel und Kopftuch brachte — einen Hut zu tragen war weder für Herren noch für Damen ratsam in diesen Tagen. Dann ging er noch einmal zurück, um seiner Mutter und Schwester ihr Fortgehen mit einer plötzlichen Müdigkeit des jungen Mädchens zu erklären, die das lange Schauspiel überanstrengt habe und die wohl auch noch unter dem raschen Klimawechsel leide.
Da bei den Bekkers jetzt Kaffee, Gebäck und Liköre serviert wurden und noch niemand ans Aufbrechen dachte, war es nur selbstverständlich, daß Bettine bei der Mutter blieb, um später bei der Heimfahrt an ihrer Seite zu sein. Es gelang Jeanmarie, ohne weitere Verabschiedung wegzukommen und Viola im Treppenhaus einzuholen. Sie drängte hinaus und vermied noch immer, ihn anzusehn.
Es war Nachmittag geworden, und da der Himmel sich bewölkt hatte, herrschte schon graues Dämmerlicht. Auf den größeren Plätzen und Straßen begannen die Bogenlampen zu erglimmen, während im Gassengewinkel, wo es noch Gasbeleuchtung gab, die Laternenanzünder ihr Werk taten. Maskierte ›Bittel‹ warteten nur auf ihr Verschwinden, um an den Laternenpfählen hinaufzuklettern und sie wieder auszudrehn. Dies geschah nicht nur als Nachahmung eines altgedienten Studentenulks, sondern man wollte die Dämmerstunde und die zwischen Haustoren, Einfahrten, Sackgäßchen
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